Präsident Obama unterzeichnet den 'America Invents Act' am 16. Sept. 2011

Präsident Obama unterzeichnet den America Invents Act.

Am 8. September 2011 wurde nach jahrelanger, kontroverser Diskussion im US Senat mit großer Mehrheit eine tiefgreifende US Patentrechtsreform verabschiedet – der sogenannte “Leahy-Smith America Invents Act” (H.R.1249, pdf, 0,4 MB) – und am 16 September 2011 von Präsident Barack Obama in einer High School in Alexandria (VA) unterzeichnet.

Die Regelungen des America Invents Act (AIA) sind in drei Pakete aufgeteilt, die jeweils 10 Tage nach der Unterzeichnung, nach weiteren 12 Monaten und nach weiteren 18 Monaten in Kraft traten bzw. treten werden. So wurde am 16. September 2011 zunächst eine Vielzahl von leicht umsetzbaren Änderungen wirksam, während am 16. September 2012 unter anderem die neuen Einspruchsverfahren “Post-Grant-Review” und “Inter-Partes-Review” eröffnet wurden. Am 16. März 2013 wird dann schließlich die tiefgreifende Umstellung des US Patentsystems auf das first-to-file Prinzip erfolgen, das traditionell in Europa angewandt wird.

Der AIA ist die weitreichendste Modernisierung des US Patentrechts seit 1952. Mit dieser Reform will  der US Gesetzgeber einerseits einen Beitrag zur internationalen Harmonisierung des Patentrechts leisten und andererseits das US Patentamt (USPTO) in die Lage versetzen, sich selbst zu finanzieren – letzteres nicht unbedingt zum finanziellen Vorteil von Patentanmeldern und -inhabern. Mit den neuen Möglichkeiten, bestehende Patente nach der Erteilung umfassend anzugreifen, und dem erweiterten Stand-der-Technik-Begriff trägt der AIA zudem der vielfachen Kritik am US Patentsystem Rechnung, dass zu Unrecht erteilte Patente nur noch schwer aus der Welt zu schaffen sind.

Auf der AIA Informationsseite des USPTO finden sich vielfältige Information zu der Reform, zum Beispiel:

In einer Serie aus drei Beiträgen wollen wir uns hier mit dieser Reform aus Sicht europäischer Patentanmelder/-inhaber beschäftigen. Den Anfang macht der vorliegende Beitrag (Teil 1) über die bereits am 16. September 2011 in Kraft getretenen Änderungen. Die beiden Folgebeiträge werden dann die am 16. September 2012 in Kraft getretenen (Teil 2) und die am 16. März 2013 in Kraft tretenden Änderungen (Teil 3) beleuchten.

1.  Beschleunigte Prüfung (faq). Auf Antrag auf “prioritized examination” wird die Prüfung von Patentanmeldungen beschleunigt, die nicht mehr als vier unabhängige Ansprüche und 30 Ansprüche insgesamt haben. Der Anmelder kann dann innerhalb von durchschnittlich 12 Monaten ab Antragstellung mit einer endgültigen Entscheidung (‘final deposition’) rechnen. Die reguläre Gebühr wird ab 16. März 2013 pro Antrag USD 4.000 betragen, in der Kategorie ‘small entity’ USD 2.000 und in der neu geschaffenen Kategorie ‘micro entity’ USD 1.000 (vgl. Gebührentabelle).

Da der Begriff ‘final deposition’ jedoch im Sinne einer ‘final office action’ zu verstehen ist, die im Verlaufe ein und desselben Erteilungsverfahrens mehrmals erfolgen kann – z.B. bei  komplexen Erfindungen, engem Stand der Technik oder auch bei unverständigen Prüfern, kann sich die Gebühr leicht verdoppeln oder sogar verdreifachen, wenn das gesamte Erteilungsverfahren beschleunigt behandelt werden soll.

2.  Patentierungsausschluss von ‘Steuerstrategien’ (faq).  In Zukunft werden Strategien zum Reduzieren oder Vermeiden von Steuerzahlungen (‘tax strategies’) nicht mehr patentierbar sein. Dies wird durch die Legalfiktion erreicht, dass derjenige Anteil einer Erfindung, welcher die Steuervermeidung betrifft, Teil des Standes der Technik ist. Andere Aspekte einer solchen Erfindung, z.B. darüber hinausgehende Verfahren, Vorrichtungen, Produkte oder Software-Programme, können dennoch Gegenstand eines Patents sein, vorausgesetzt sie lassen sich von der Steuerstrategie deutlich abgrenzen und schränken deren Benutzung durch Steuerzahler und Steuerberater nicht ein.

Die rechtliche Konstruktion dieses Patentierungsausschlusses erinnert deutlich an die Ausgestaltung des Ausschlusses von Computerprogrammen als solchen gemäß Art 52 (1) c EPÜ durch die Rechtsprechung der EPA Beschwerdekammern (Stichwort: Aufgabe/Lösungs-Ansatz),  denn auch dort bleiben nicht-technische Merkmale bei der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit unbeachtet, können aber dennoch Teil eines erteilten Anspruchs sein, wenn die weiteren technischen Merkmale neu und erfinderisch sind.

3.  Ausschluss von Patenten auf menschliche Organismen. Die neue Regelung sieht vor, dass kein Patentanspruch erteilt werden darf, der auf einen menschlichen Organismus gerichtet ist oder einen solchen umfasst (‘directed to or encompassing a human organism’).

Diese Formulierung ist jedoch derart unscharf, dass sie in der Praxis nicht zu mehr sondern zu weniger Klarheit führt. Es stellt sich nämlich die Frage, ob der Ausschluss nur dann greift, wenn ein Anspruch einen menschlichen Organismus unmittelbar betrifft bzw. beansprucht oder ob auch Verfahrens- und/oder Produktansprüche von der Patentierung ausgeschlossen sein sollen, die sich zwar (mittelbar) auf einen menschlichen Organismus beziehen, diesen aber nicht in den Anspruch einführen. Wenigstens die politische Intention dieser Formulierung ist eindeutig, denn sie wurde von einem ehemaligen republikanischen Kongressabgeordneten eingebracht, der sich gegen jegliche Form des Schwangerschaftsabbruchs und der embryonalen Stammzellenforschung wendet.

Der Wortlaut kann bei entsprechender Auslegung ohne Weiteres auf therapeutische, chirurgische und allgemein humanmedizinische Verfahren und Instrumente gelesen werden. Eine erste Konkretisierung erfuhr diese Regelung nun durch die Entscheidung Ex Parte Kamrava (PTAB 2012, 10/080,177, pdf) des neuen Patent Trial and Appeal Board (PTAB) des USPTO. Dort wurden Ansprüche auf einen Gebärmutterkatheter mit dem Merkmal “further comprising an embryo in the distal portion” zwar als nicht patentfähig angesehen, aber der Hinweis gegeben, dass die funktionale Formulierung “adapted to hold an embryo” aus dem Patentierungsausschluss herausführen würde (siehe hier).

4.  Patentberühmung. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl an Prozessen stark angestiegen, die Privatpersonen gegen Hersteller und Verkäufer von Produkten wegen unberechtigter Patentberühmung (‘false marking’) angestrengt haben, zumeist wegen falsch angegebenen oder abgelaufenen Patentnummern. Um dieser ausufernden Praxis Einhalt zu gebieten, wurde die Klagebefugnis dahingehend eingeschränkt, dass die unzulässige Patentberühmung auf Seiten des Klägers (vermeintliche) Wettbewerbsbeschränkung zur Folge haben muss, so dass Privatpersonen und völlig unbeteiligte Marktteilnehmer keine Klagemöglichkeit mehr haben. Dies entspricht in etwa der Situation in Deutschland, wo die ungerechtfertigte Patentberühmmung ein wettbewerbsrechtlicher Tatbestand ist, dessen Klagebefugnis sich aus § 8 (3) UWG ergibt.

Deneben erlaubt es die neu eingeführte virtuelle Patentberühmung (‘virtual patent marking’) Herstellern auf dem Produkt anstatt konkreter Patentnummern auch eine Website anzugeben, unter der die das Produkt betreffenden Patentnummern abrufbar sind.

5.  Vorbenutzungsrechte. Bisher existierte im US Patentgesetz die Regelung, dass sich ein vermeintlicher Verletzer eines Patents, welches ein Geschäftsverfahren (‘method of doing or conducting business’) betrifft, mit dem Hinweis auf ein Vorbenutzungsrecht verteidigen konnte (‘prior user right’), sofern dem vermeintlichen Verletzter bereits mehr als ein Jahr vor dem Anmeldetag des Patents das betreffende Geschäftsverfahren unabhängig von dem späteren Patent bekannt war und er es auch benutzt hat. Diese gesetzliche Regelung wurde 1999 in Reaktion auf die Entscheidung ‘State Street Bank‘ (vgl. US 5,193,056) des Court of Appeal for the Federal Circuit (CAFC) eingeführt, die eine nahezu uneingeschränkte Patentierbarkeit von Geschäftsverfahren ermöglichte. Ziel der Regelung war es, solche Unternehmen und deren Geschäftprozesse zu schützen, die ein Geschäftsverfahren bereits vor dessen Anmeldung zum Patent in Form eines Geschäftsgeheimnisses intern eingesetzt haben.

Der AIA weitete dieses spezifische Vorbenutzungsrecht nun in Richtung eines umfassenden Vorbenutzungsrechts nach Europäischem Vorbild aus (vgl. § 12 PatG), denn es betrifft nun allgemein

[...] subject matter consisting of a process, or consisting of a machine, manufacture, or composition of matter used in a manufacturing or other commercial process, that would otherwise infringe a claimed invention against the person [...].

Darüber hinaus wird auch der Kreis derer erweitert, die ein solches Vorbenutzungsrecht geltend machen können. Während dies vor der Gesetzesänderung nur dem unmittelbaren Benutzer des Geschäftsgeheimnisses zustand, so billigt der AIA das neu ausgestaltete Vorbenutzungsrecht nun auch Personen zu, die in gutem Glauben

[...] commercially used the subject matter in the United States, either in connection with an internal commercial use or an actual arm’s length sale or other arm’s length commercial transfer of a useful end result of such commercial use.

Auf ein bestehendes Vorbenutzuntgsrecht können sich nun also zum Beispiel auch Rechtspersönlichkeiten berufen, die nur indirekt an der Benutzung des betreffenden Geschäftsgeheimnisses beteiligt waren, zum Beispiel Vertrags- und Handelspartner, Mutter- und  Tochtergesellschaften oder auch Rechtsnachfolger des eigentlichen Benutzers. Das Vorbenutzungsrecht kann nun also insbesondere als Verteidigung gegen den Vorwurf einer mittelbaren Patentverletzung eingesetzt werden. Dies was bisher nicht möglich.

Allerdings wurde die Geltendmachung des Vorbenutzungsrechts an einer Stelle auch eingeschränkt. Die ‘university exception’ schließt nämlich Vorbenutzungsrechte an solchen Erfindungen aus, die zum Erfindungszeitpunkt im Besitz einer Hochschule oder Technologietransfereinrichtung waren oder an denen eine solche Institution zu diesem Zeitpunkt Rechte besaß. Hiermit soll die Kommerzialisierung von Erfindungen gefördert werden, die aus staatlichen Einrichtungen hervorgehen.

6.  Best-Mode-Verteidigung (pdf). Ein wichtiges Kriterium im US Patentrecht für eine ausreichende Offenbarung der Erfindung ist das sogenannte Best-Mode-Erfordernis. Danach muss die Beschreibung die beste Betriebs- oder Ausführungsart offenbaren, die beanspruchte Erfindung umzusetzen – das aber nur insoweit, wie der Erfinder diese kannte bzw. kennen musste.

Bisher konnte sich ein angeblicher Verletzer im Verletzungsverfahren mit dem Argument verteidigen, dass der ‘best mode’ gar nicht offenbart sei. Diese Verteidigungsmöglichkeit wurde durch den AIA aus der Liste der Verteidigungsmittel des 35 U.S.C § 282 gestrichen. Das Erfordernis, den ‘best mode’ zu offenbaren, bleibt aber nach wie vor bestehen.

7.  Abschaffung der ‘Inter Partes Reexamination’ (faq). Die Inter-Partes-Reexamination ist/war ein eingeschränktes zweiseitiges Amtsverfahren, mit dem jeder Dritte die Nachprüfung eines Patents durch das USPTO während dessen gesamter Laufzeit betreiben konnte. Dieses Verfahren wurde durch den AIA schrittweise abgeschafft und ab den 16.09.2012 vollständig durch die beiden neuen Verfahren des Post-Grant-Review und Inter-Partes-Review ersetzt. Die Ex-Parte-Reexamination bleibt jedoch unverändert erhalten.

Im Übergang zu den neuen Review-Verfahren wurden zum 16.09.2011 zunächst die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Inter-Partes-Rexamination verschärft. Die in der Übergangsphase bis zum 16.09.2012 neu eingereichten Reexamination-Anträge werden nach diesen neuen Kriterien geprüft und für die davor anhängigen Altverfahren mussten Anträge auf Weiterbehandlung nach den neuen Kriterien gestellt werden. Seit dem 16.09.2012 sind die neuen Review-Verfahren zugänglich und Anträge auf Inter-Partes-Reexamination werden nicht mehr angenommen.

Bis zum 16.09.2011 war das Zulässigkeitskriterium bei Amtsverfahren nach Erteilung, dass die Patentierbarkeit durch neue materielle Gründe in Frage gestellt wird (‘substantial new question of patentability’, SNQ). Diese Gründe mussten sich auf neu aufgefundenen schriftlichen Stand der Technik beziehen.

Die durch den AIA verschärften Zulässigkeitsvoraussetzungen – die auch für den neuen Inter-Partes-Review gelten – fordern eine vernünftige/begründete Wahrscheinlichkeit dafür, dass zumindest ein Anspruch des angegriffenen Patents nichtig ist (‘reasonable likelihood of prevailing’, RLP). Dabei ist zu beachten, dass der RLP-Test das Neuheitserfordernis (‘new’) des bisherigen SNQ-Tests nicht mehr umfasst. Gemäß dem geänderten Zulässigkeitskriterium können nun also insbesondere auch solche Gründe vorgetragen werden, die das USPTO im Erteilungsverfahren bereits geprüft und eventuell falsch bewertet hat. Das war vorher nicht möglich.

8.  Gebührenänderungen (faq). Neben den normalen Gebühren und den reduzierten Gebühren für kleine Einheiten (‘small entity’) wurde mit dem AIA eine dritte Gebührenkategorie eingeführt, nämlich besonders geringe Gebühren für kleinste Einheiten (‘micro entities’), wie zum Beispiel Einzelerfinder, die auf nicht mehr als fünf Patentanmeldungen als Erfinder verzeichnet sind und bestimmten Einkommensverhältnissen unterliegen, Angestellte von Universitäten oder dergleichen.

Die Gebühren für diese ‘micro entities’ liegen bei ca. 25% der normalen Gebühren. Insgesamt wurden die Gebühren allerdings zum 26. September 2011 auch um 15% angehoben. Inzwischen ist eine weitere Gebührenänderung zum 16. März 2013 beschlossen, mit der einzelne Gebühren wieder gesenkt werden (vgl. Gebührentabelle).

9.  Einschränkung von Mehrfach-Klagen. Vor dem AIA war es üblich, mit einer einzigen  Verletzungsklage bereits dann mehrere angebliche Verletzer zu verklagen, wenn diese vergleichbare patentgeschützte Produkte oder Verfahren benutzten. Nach dem AIA können mehrere Beklagte nur noch dann im Rahmen ein und desselben Verletzungsverfahrens verklagt werden, wenn ihnen vorgeworfen wird bzw. werden kann, das gleiche patentgeschützte Produkt oder Verfahren zu verwirklichen, zu benutzen oder zu veräußern.

 

Mit den Änderungen des AIA, die zum 16. September 2012 in Kraft traten und zum 16. März 2013 in Kraft treten werden, beschäftigen wir uns in Teil 2 und Teil 3 dieser Serie. Gerne beantworten wir aber auch konkrete Fragen.

Über den Autor

Volker Metzler

Patentanwalt, European Patent Attorney, European Trademark and Design Attorney, Informatiker, Blogger, Partner von k/s/n/h

2 Responses to Die Änderungen im US Patentrecht durch den ‘America Invents Act’, Teil 1

  1. [...] Teil 1 unserer dreiteiligen Serie zum America Invents Act (H.R.1249, vgl. AIA Infoseite) haben wir die [...]

  2. [...] unserer dreiteiligen Artikelserie zum ‘America Invents Act’ (AIA) haben wir bisher in Teil 1 die Änderungen zum 16. September 2011 und in Teil 2 die Änderungen zum 16. September 2012 [...]