Im Museum des US-Patentamts

In Teil 1 unserer dreiteiligen Serie zum America Invents Act (H.R.1249, vgl. AIA Infoseite) haben wir die Gesetzesänderungen beleuchtet, die bereits am 16. September 2011 in Kraft traten, nämlich

  1. Beschleunigte Prüfung (‘prioritized examination‘),
  2. Patentierungsausschluss von Strategien zur Steuervermeidung (‘tax strategies‘),
  3. Ausschluss von Patenten auf menschliche Organismen (‘human organisms‘),
  4. Patentberühmung (‘false marking’, ’virtual marking‘),
  5. Vorbenutzungsrechte (‘prior user rights‘) als Verteidigung gegen Verletzungsklagen,
  6. Best-Mode-Verteidigung gegen Verletzungsklagen,
  7. Abschaffung der ‘Inter-Partes-Reexamination’,
  8. Gebührenänderungen und ‘micro entities’, und
  9. Einschränkung von Mehrfach-Klagen.

Mit dem vorliegenden Teil 2 wollen wir uns nun denjenigen Änderungen zuwenden, die am 16. September 2012 in Kraft getreten sind. Im dritten Teil werden dann abschließend die Änderungen zum 16. März 2013 vorgestellt.

Die am 16. September 2012 in Kraft getretenen Änderungen betreffen im Wesentlichen die neuen Amtsverfahren, mit denen erteilte Patente angegriffen werden können, die zu Unrecht erteilt wurden, sowie einige weitere verfahrensrechtliche Änderungen.

I.  Neuordnung der USPTO Amtsverfahren nach Erteilung

In Teil 1 dieser Serie wurde bereits darauf hingewiesen, dass die bisherige Inter-Partes-Reexamination, ein zweiseitiges Amtsverfahren zur Überprüfung der Rechtsbeständigkeit erteilter Patente, zum 16.09.2012 von zwei neuen, sich ergänzenden zweiseitigen Review-Verfahren ersetzt wurde, nämlich dem Post-Grant-Review (PGR) und dem Inter-Partes-Review (IPR). Beide Verfahren werden von dem neu eingerichteten Patent Trial and Appeal Board (PTAB) bearbeitet, einer Beschwerdeinstanz innerhalb des USPTO vergleichbar mit den Beschwerdekammern des EPA.

1. Post-Grant-Review (faq, info). Ähnlich dem europäischen Einspruchsverfahren kann ein Antrag auf Post-Grant Review (PGR) innerhalb von neun Monaten nach dem Erteilungsdatum des Patents eingereicht werden, um dessen mangelnde Rechtsbeständigkeit geltend zu machen. Allerdings wird der Post-Grant-Review erst für Patente mit einem Zeitrang ab dem 16. März 2013 zugänglich sein. Derzeit kann das PGR-Verfahren lediglich für sehr wenige Patentklassen beantragt werden, darunter insbesondere für Patente auf Geschäftsverfahren im Rahmen des sogenannten ‘Transitional Program for Covered Business Method Patents‘ (siehe unten).

Anders als bei der inzwischen abgeschafften Inter-Partes-Reexamination (und ähnlich den Einspruchsgründen gemäß EPÜ) können hierbei mehrere der im US-Patentgesetz vorgesehenen Nichtigkeitsgründe herangezogen werden – und nicht nur entgegenstehender schriftlicher Stand der Technik -, nämlich insbesondere auch mangelnde Patentfähigkeit, wie z.B. bei Ansprüchen auf Naturgesetze oder abstakte Ideen (sogenannte ‘patent subject-matter eligibility‘), beliebiger Stand der Technik, auch in Form von eidensstattlichen Versicherungen oder aus einer Vorbenutzung, mangelnde Ausführbarkeit oder unzureichende Offenbarung.

Die Amtsgebühr des Post-Grant-Review, hierin unterscheidet sich dieses Verfahren von dem europäischen Einspruchsverfahren jedoch erheblich, liegt bei mindestens USD 35.800 (vgl. Gebührentabelle). Zum Vergleich, die Einspruchsgebühr des EPA beträgt aktuell nur EUR 745.

2. Inter-Partes-Review (faq, info). Nachdem die PGR-Frist von neun Monaten ab Erteilung verstrichen und jedes anhängige PGR-Verfahren abgeschlossen ist, kann die Rechtsbeständigkeit eines Patents vor dem USPTO nun noch durch einen Inter-Partes-Review angegriffen werden. Der Inter-Partes-Review ist seit dem 16.09.2012 für alle wirksamen Patente zugänglich, unabhängig vom Zeitrang eines Patents.

Das IPR-Verfahren ist dem PGR-Verfahren sehr ähnlich. Ein wichtiger Unterschied ist jedoch der eingeschränkte Prüfungsumfang des Inter-Partes-Review, der auf die Überprüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit aufgrund schriftlichen Standes der Technik beschränkt ist, ähnlich der früheren Inter-Partes-Reexamination. Das heißt also, dass man weitere Nichtigkeitsgründe, wie z.B. einen gesetzlichen Patentierungsausschluss oder mangelnde Ausführbarkeit, nur noch gerichtlich geltend machen kann, wenn die 9-Monatsfrist des Post-Grant-Review verstrichen ist.

Die Amtsgebühr des IPR-Verfahrens ist nur wenig geringer als diejenige des PGR-Verfahrens und beträgt USD 27,200 (vgl. Gebührentabelle).

3. Zulässigkeitsregeln des PGR und IPR. Falls die Rechtsbeständigkeit eines Patents bereits gerichtlich überprüft wird, etwa durch eine negative Feststellungsklage oder eine Widerklage in Reaktion auf eine Verletzungsklage, kann weder ein Post-Grant-Review noch ein Inter-Partes-Review eingeleitet werden. Auf eine Verletzungsklage kann ein Inter-Partes-Review nur innerhalb eines Jahres ab Klageerhebung beantragt werden.

Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der neuen Review-Verfahren wurden gegenüber der bisherigen Inter-Partes-Reexamination verschärft. Für den Post-Grant-Review wird gefordert, dass für zumindest einen Anspruch die Nichtigkeit wahrscheinlicher ist als die Rechtsbeständigkeit (‘more likely than not‘). Für den Inter-Partes-Review wird eine vernünftige/begründete Wahrscheinlichkeit gefordert, dass zumindest ein Anspruch des angegriffenen Patents nichtig ist (‘reasonable likelihood‘).

Diese Kriterien werden allgemein so verstanden, dass für den Post-Grant-Review eine Erfolgswahrscheinlicheit von 51% oder mehr glaubhaft zu machen ist, während für den Inter-Partes-Review eine Wahrscheinlichkeit von 50% ausreicht. Es muss abgewartet werden, wie das PTAB diese beiden Zulässigkeitsschwellen in der Praxis auslegt und prüft.

Derzeit ist bei einer Entscheidung des PTAB, dass die Zulässigkeitsschwelle nicht erreicht wurde, keinerlei Erstattung der (erheblichen) Gebühren vorgesehen. Dies mag sich aber noch ändern, Vorschläge des USPTO liegen bereits auf dem Tisch. In jedem Falle wird die Entscheidung des PTAB über die Zulässigkeit des Review-Verfahrens endgültig sein, eine Beschwerdemöglichkeit gibt es nicht.

4. Verlauf des Review-Verfahrens. Im Verlauf des Review-Verfahrens können Antragsteller und  Patentinhaber einem strikten Schema folgend mit Eingaben auf das Vorbringen der Gegenseite reagieren sowie das Verfahren vergleichsweise beenden. Die Ausgestaltung der beiden neuen Amtsverfahren orientiert sich an dem zivilgerichtlichen Verletzungsverfahren, denn es ist auch eine – allerdings eingeschränkte – Discovery möglich und das Verfahren wird mit einer mündlichen Verhandlung (‘trial’) vor einer dreiköpfigen PTAB-Kammer abgeschlossen. Danach ist die Beschwerde vor dem Court of Appeal of the Federal Circuit (CAFC) möglich.

Die strikten Verfahrensregeln und Antwortfristen sollen sicherstellen, dass sowohl der Post-Grant-Review als auch der Inter-Partes-Review innerhalb von 12 Monaten ab der Zulässigkeitsentscheidung beendet werden können, in begründeten Ausnahmefällen in 18 Monaten.

5. Rechtshemmende Wirkung. Eine endgültige Entscheidung in einem Review-Verfahren hat rechtshemmende Wirkung (vgl. ‘estoppel PGR‘, ‘estoppel IPR‘). Der Antragsteller kann eine in der ersten Instanz vom PTAB oder in der zweiten Instanz vom CAFC entschiedene Frage anschließend nicht noch einmal gerichtlich (z.B. vor einem ‘District Court’) oder im Rahmen eines anderen Amtsverfahrens prüfen lassen.

Die Rechtshemmung umfasst aber nicht nur die tatsächlich entschiedenen Fragestellungen, sondern auch diejenigen, die vernünftigerweise hätten vorgebracht werden können (‘reasonably could have been raised’). Dies kann im Falle des Post-Grant-Review, in dessen Rahmen die wichtigsten Nichtigkeitsgründe geltend gemacht werden können, für den Antragsteller die unangenehme Folge haben, dass er das betreffende Patent im Falle einer Verletzungsklage überhaupt nicht mehr gerichtlich angreifen kann. Aber auch der Patentinhaber ist an die Review-Entscheidung gebunden, denn er kann einen im Review vernichteten Anspruch nicht mehr geltend machen, auch nicht in einem andern Erteilungsverfahren.

6. Review versus Nichtigkeitsklage. Nicht nur hinsichtlich der umfassenden rechtshemmenden Wirkung der neuen Review-Verfahren – die gerichtliche Widerklage wirkt nur auf die tatsächlich vorgebrachten Gründe rechtshemmend - unterscheiden sich die Review-Verfahren vor dem USPTO stark von einer Nichtigkeits(wider)klage vor einem District Court, sondern auch aufgrund der Verfahrenskosten (100 bis 200 Tsd. $ vs. mehr als 1 Mio. $) und -dauer (12 Monate vs. mehr als 2 Jahre) sowie insbesondere hinsichtlich der angewandten Beweisstandards. Im Zivilverfahren gilt nämlich die Vermutung der Rechtsbeständigkeit (‘presumption of validity’), die ein Kläger nur mir klaren und überzeugenden Beweisen (‘clear and convincing evidence’) überwinden kann – ein Standard, der wesentlich höher ist als beispielsweise die RLP-Schwelle (‘reasonable likelyhood for prevailing’) des Inter-Partes-Review.

Dazu kommt, dass im Zivilverfahren eine Geschworenen-Jury und ein Richter entscheiden, die mit der zugrundeliegenden Technologie des Patents in der Regel wenig vertraut sind, während die den Review bearbeitende PTAB-Kammer immer auch technisch qualifizierte Richter umfasst.

Dies alles dürfte dazu führen, dass die neuen Review-Verfahren insbesondere als Verteidigungsmittel in einem Verletzungsverfahren große Popularität erreichen können.

 

II.  Weitere Verfahrensrechtliche Änderungen

1. Post-Grant-Review gegen Geschäftsverfahrenspatente (faq, info). Eine der umstrittensten Neuerungen des AIA ist das sogenannte “Transitional Program for Covered Business Method Patents”. Diese Regelung eröffnet es einem Verletzungsbeklagten, der aus einem Patent auf ein Geschäftsverfahren auf Patentverletzung verklagt wurde, die Möglichkeit, das Klagepatent per Post-Grant-Review anzugreifen, selbst wenn die neun-monatige Einspruchsfrist bereits abgelaufen ist. Allerdings muss der PGR-Antrag innerhalb eines Jahres ab Erhebung der Verletzungsklage gestellt werden.

Ausgehend von dem rechtspolitischen Ziel, die Überprüfung der Rechtsbeständigkeit gerade für Patente auf Geschäftsverfahren zu erleichtern, ist dies vernünftig, denn im Gegensatz zum Inter-Partes-Review bietet das PGR-Verfahren die Möglichkeit, ein Patent aufgrund mangelnder Patentfähigkeit anzugreifen, also zu überprüfen, ob überhaupt ‘patent subject-matter eligibility‘ vorliegt. Dies dürfte inzwischen einer der erfolgversprechendesten Angriffe gegen Patente auf Geschäftsverfahren sein.

Die Frage ist jedoch, was genau ist ein Patent auf eine ‘covered business method’ (CBM)?. Diese beantwortet das geänderte Gesetz wie folgt:

Covered business method patent means a patent that claims a method or corresponding apparatus for performing data processing or other operations used in the practice, administration, or management of a financial product or service, except that the term does not include patents for technological inventions.

Die sich daraus ergebende Frage nach dem Wesen einer “technological invention” wird wie folgt beantwortet:

the claimed subject matter as a whole recites a technological feature that is novel and unobvious over the prior art; and solves a technical problem using a technical solution.

Die letztgenannte Definition erinnert natürlich stark an das von den EPA-Bescherdekammern im Rahmen des Aufgabe/Lösungs-Ansatzes entwickelte Technizitätskriterium, die auch der deutschen Rechtsauffassung entspricht, wie sie beim DPMA und Bundespatentgericht angewandt werden. Die konkrete Auslegung der entsprechenden unbestimmten Rechtsbegriffe, dürfte auch in den USA der Rechtsprechnung vorbehalten sein.

Politisch war diese Regelung sehr umstrittenen und es wurde vermutet, dass der ein oder andere Senator erst durch intensives Lobbying der US-Finanzwirtschaft von der Notwendigkeit dieser  Regelung überzeugt werden konnte. Letztere hatte nämlich ein besonderes Interesse an vereinfachten Verteidigungsmöglichkeiten gegen die Durchsetzung von Geschäftsverfahrenspatenten, insbesondere nachdem DataTreasury zwei solche Patente (US 6,032,137US 5,910,988) gegen Wells Fargo und andere Großbanken durchsetzen konnte.

2. Einwendungen Dritter. Neu ist auch die Möglichkeit, dass unbeteiligte Dritte in laufenden Prüfungsverfahren schriftlichen Stand der Technik vorlegen können (‘third party submissions’), ähnlich der europäischen Regelung in Art. 115 EPÜ.

Eine derartige Eingabe muss allerdings ausreichend begründet sein und innerhalb des relativ kurzen Zeitfensters von sechs Monaten ab Veröffentlichung der Anmeldung bzw. vor Absetzen des ersten Amtsbescheids erfolgen, je nachdem welche Frist später endet. Eine Verfahrensbeteiligung oder sonstige Rechte sind für den Eingebenden damit jedoch nicht verbunden. Diese neue Regelung ersetzt die inzwischen ausgelaufenen Pilotprogramme Peer-to-Patent und Peer Review.

3. Ergänzende Prüfung (faq). Das neue Rechtsinstitut der ‘supplemental examination‘ ist vergleichbar mit dem europäischen Beschränkungsverfahren. Es ist nämlich nur dem Patentinhaber zugänglich, damit dieser Fehler in der Patentschrift korrigieren kann. Insbesondere kann der Patentinhaber auf diesem Wege nachträglich aufgefundenen Stand der Technik einreichen, den er für relevant hält, um einem Angriff Dritter zuvorzukommen.

Eine besondere und in Europa irrelevante Motivation für den Patentinhaber, sein Patent einer ergänzenden Prüfung zu unterziehen, ist die Möglichkeit, ein unbilliges Verhalten gegenüber dem Patentamt während des Erteilungsverfahrens (‘inequitable conduct‘) nachträglich zu heilen, welches das Patent andernfalls nicht durchsetzbar machen würde.

 

III.  Formale Änderungen

Arbeitgeber als Anmelder. Mit der neu geschaffenen Möglichkeit, dass der Arbeitgeber des Erfinders oder ein anderweitig Berechtigter direkt als Anmelder einer Patentanmeldung fungieren kann, wird das US Patentrecht weiter in Richtung der internationalen Standards harmonisiert. Das Patent wird dann auf den Anmelder erteilt und nicht mehr auf den Erfinder. Bei einem unkooperative Erfinder kann der berechtigte Arbeitgeber seine Anmeldeberechtigung durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachweisen, z.B. mit einer Kopie des Arbeitsvertrags.

 

Der dritte Teil wird diese Serie mit einer Darstellung der am 16. März 2013 wirksam werdenden Ändeungen abschließen. Diese sind insbesondere die Einführung

  • des first-to-file Prinzips,
  • eines erweiteren Stand-der-Technik-Begriffs, und
  • des Derivation-Verfahrens für Streitigkeiten über das Recht auf das Patent.

 

(Photo 2008 von cytech via Flickr unter einer CC Lizenz)

Über den Autor

Volker Metzler

Patentanwalt, European Patent Attorney, European Trademark and Design Attorney, Informatiker, Blogger, Partner von k/s/n/h

2 Responses to Die Änderungen im US Patentrecht durch den ‘America Invents Act’, Teil 2

  1. [...] Änderungen. Die beiden Folgebeiträge werden dann die am 16. September 2012 in Kraft getretenen (Teil 2) und die am 16. März 2013 in Kraft tretenden Änderungen (Teil 3) [...]

  2. [...] Invents Act’ (AIA) haben wir bisher in Teil 1 die Änderungen zum 16. September 2011 und in Teil 2 die Änderungen zum 16. September 2012 beleuchtet. Das letzte Paket der Ändeungen im US [...]