(Ausriß aus einem Abmahnschreiben)

Kaum ein Stichwort aus dem Bereich der Juristerei vermag derzeit derartig viele negative Konnotationen auf sich zu vereinigen wie der Begriff “Abmahnung”. Wer Google fragt, bekommt eine lange Liste geliefert, von “Abmahnwahn” über “Abzocke” bis “Abmahnanwalt”.

Worum geht es dabei eigentlich?

Von seiner Geschichte her gesehen ist eine Abmahnung eigentlich ein freundliches Angebot zur außergerichtlichen Beilegung eines Rechtsstreites – auch wenn dieser Ursprung in der heutigen Rechtspraxis nicht immer klar hervorzutreten scheint: A meint, B hätte etwas getan, was er nicht hätte tun dürfen. A glaubt deshalb, einen zivilrechtlichen Anspruch auf Unterlassung gegen B zu haben. Nach deutschem Recht könnte A auch gleich zum zuständigen Gericht laufen und dort Zivilklage gegen B erheben. Zulässig wäre das.

Die Sache hat aber einen Haken: Wenn das Gericht die Klage an B zustellt und dieser dann dadurch von dem Rechtsstreit überrascht wird, kann er, wenn er seine eigene Rechtslage als aussichtslos ansieht, ein “sofortiges Anerkenntnis” abgeben und damit die Forderung des A akzeptieren. Aber: Nach deutschem Recht zahlt in einem derartigen Fall A die Zeche. Gerichts- und Anwaltskosten gehen zu Lasten von A, obwohl er, vom Ende des Verfahrens her gesehen, völlig im Recht war.

Das deutsche System der gerichtlichen Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen möchte mit der Kostenverteilung zu Lasten des obsiegenden Klägers im Fall eines sofortigen Anerkenntnisses durch den Beklagten Anreize schaffen, dass die Gerichtsbarkeit erst dann mit Rechtsstreitigkeiten befaßt wird, wenn die sich streitenden Seiten zumindest eine Art von Erstkommunikation unter sich absolviert haben, aus der hervorgeht, dass der potentiell zu Beklagende nicht ohne weiteres Willens ist, sein Verhalten im Sinne des potentiellen Klägers zu ändern.

Hier kommt die Abmahnung ins Spiel: Mit dem Abmahnschreiben kommuniziert der potentielle Kläger seinem Gegner, dem potentiellen Beklagten, unmißverständlich, was ihm mißfällt. Kommt der Abgemahnte nach Prüfung des Abmahnschreibens zu dem Ergebnis, dass er selber im Unrecht ist, so teilt er dies dem Abmahnenden mittels einer ein Vertragsstrafeversprechen beinhaltenden “Unterlassungserklärung” mit und vermeidet dadurch eine gerichtliche Auseinandersetzung. Geht der Abgemahnte nicht auf die Forderung des Abmahnenden ein, kann letzterer Klage erheben, ohne Risiko zu laufen, durch ein sofortiges Anerkenntnis des Beklagten auf den Kosten sitzenzubleiben.

Gelegentlich kommt in diesem Zusammenhang die Frage auf, warum der Anwalt des Abmahnenden in aller Regel sogleich ein extrem förmliches Schreiben mit beigefügter Unterlassungserklärung nebst einem knapp bemessenen Ultimatum versendet, anstatt erst einmal höflich per e-Mail oder Telefon auf das vom Auftraggeber detektierte Problem hinzuweisen und die Reaktion des Gegners abzuwarten. Auch hierfür gibt es einen klar angebbaren Grund: Nur wenn eine Streitsache noch “frisch” ist, das heißt, wenn der Kläger erst vor kurzer Zeit  von dem Problem erfahren hat, steht der Weg zu einer Art gerichtlicher “Überholspur” offen, an deren Ende nach wenigen Tagen oder Wochen der Erlaß einer “einstweiligen Verfügung” durch das Gericht stehen kann. Es gibt gerade um Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes wie auch des Wettbewerbsrechtes zahlreiche Konstellationen, bei denen ein am Markt angerichteter Schaden kaum mehr gutzumachen ist, wenn ein rechtswidriges Verhalten erst nach vielen Monaten oder gar Jahren gerichtlich unterbunden wird. In derartigen Situationen ist es von größter Bedeutung, ab Kenntnis des potentiellen Klägers möglichst rasch eine definitive Entscheidung darüber herbeizuführen, ob nun eine Klage tatsächlich eingereicht wird oder nicht. Ein langes Zuwarten auf eine informelle Reaktion des potentiellen Beklagten geht hier wegen des Verlustes der Option, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, unter Umständen mit einer ganz wesentlichen Beeinträchtigung des Rechtsschutzinteresses des potentiellen Klägers einher. Und ein formloses Versprechen des potentiellen Beklagten, die beanstandeten Handlungen auch ganz bestimmt nicht weiter fortzusetzen, ist das Papier nicht wert, auf dem es steht: Eine Bruch dieses Versprechens hätte keinerlei Rechtsfolgen. Nur ein mit einem Vertragsstrafeversprechen “gehärtete” Unterlassungserklärung kann dem potentiellen Kläger das Gefühl geben, einen gewissen Schutz dagegen in der Hand zu haben, dass der Abgemahnte sein Versprechen einfach nicht einhält.

Der Sache nach ist die Auseinandersetzung mit der Rücksendung der unterzeichneten Unterlassungserklärung abgeschlossen. Jedoch hat der Abmahnende in aller Regel für die Abmahnung die Hilfe eines Anwaltes in Anspruch genommen, dessen Rechnung nun noch auf dem Tische liegt.

Durch die Unterschrift unter die Unterlassungserklärung hat der Abgemahnte konzediert, dass der Abmahner von Anfang an im Recht war. Warum sollte dann der Abmahnende seine Anwaltsrechnung selber bezahlen müssen?

Das hier anwendbare deutsche Recht sieht für diesen Fall vor, dass der Abmahnende seine Anwaltskosten auf den Abgemahnten abwälzen kann. Die Höhe der erstattungsfähigen Kosten bemißt sich in der Regel nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes nach Maßgabe des geschätzten Gegensandswertes des Streites. Bei Marken- oder Urheberrechtssachen können so zu erstattende Anwaltskosten in der Größenordung von Tausend oder mehr Euro anfallen.

Es sollte aber klar sein, dass die Abmahnung kein “Strafbefehl” ist, auf den man mit Unterlassung und Zahlung der Anwaltskosten reagieren muß. Wer als Abgemahnter der Meinung ist, dass die in dem Abmahnschreiben dargestellten Zusammenhänge nicht zutreffen, der wird weder unterschreiben noch zahlen: Im Gegenteil, er kann, wenn er denn Recht behält, unter Umständen Gegenforderungen an den Abmahnenden wegen ungerechtfertigter Abmahnung erheben.

So, where is the problem?

Ich meine, unter mittelständischen Geschäftsleuten ist diese Abmahnpraxis in aller Regel kein großes Ärgernis: Die Alternative zur Abmahnung wäre vielfach nur das Erwirken einer einstweiligen Verfügung beim zuständigen Gericht. Wer sich beispielsweise als Geschäftsinhaber bei einer Werbekampagne vergaloppiert und gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat, kommt gegenüber einer gerichtlichen Verfügung vergleichsweise billig davon, wenn er von einem Konkurrenten abgemahnt wird und die Sache aus der Welt schafft, indem er sich unterwirft und dessen Anwaltskosten erstattet.

Das eigentliche Problem liegt meiner Ansicht nach nicht in der Struktur des deutschen Abmahnrechtes. Es liegt vielmehr darin, dass durch die “digitale Revolution” des Internet mehr und mehr Privatleute und auch Kleinunternehmer in Gefahr geraten, gegen bestimmte zivilrechtliche Bestimmungen zu verstoßen und sodann Adressaten von Abmahnungen zu werden.

Nehmen wir als Beispiel das Wettbewerbs- und Markenrecht: Vor, sagen wir, fünfzig, sechzig Jahren lief ein durchschnittlicher Angestellter oder Beamter so gut wie kein Risiko, im Alltag gegen einschlägige Bestimmungen aus diesen Rechtsbereichen zu verstoßen. Heute ist das anders: Wenn er das alte Tafelsilber aus der Erbschaft über eBay verkaufen möchte, muß er sich mit Fragen des Fernabsatzrechtes befassen, die leider so kompliziert sind, dass selbst darauf spezialisierte Rechtsanwälte Mühe haben, nicht den Durchblick zu verlieren. Oder wie ist das mit Verkäufen von Markenartikeln über eBay? Wann darf man mit der Marke des Herstellers werben, wann nicht? Und auch dann, wenn eine Privatperson lediglich aus privaten Hobby-Interessen eine Website errichet, besteht die Gefahr, sich im Gewirr des Marken-, Wettbewerbs- und Urheberrechtes zu veheddern. Denn die Tatsache, dass man mit dem Betrieb einer Website nicht auf monetären Gewinn abzielt, dispensiert nach geltender Rechtslage für sich genommen noch nicht von der Befolgung zahlreicher Rechtsnormen, die eigentlich für Geschäftsleute gedacht waren. Auch für einen Kleinunternehmer, der sich nicht in jeder Detailfrage seiner Geschäftsabwicklung professionellen Rechtsrat leisten kann, sieht die Lage kaum besser aus.

Wie man auch immer persönlich zu der verbreiteten Praxis des Filesharing urheberrechtlich geschützter Inhalte über Peer-to-Peer-Netzwerke stehen mag: Vor fünfzig oder sechzig Jahren hatte eine durchschnittliche Privatperson schon technisch so gut wie keine Chance, im Alltag in nennenswertem Umfang gegen urheberrechtliche Bestimmungen zu verstoßen. Der Einstieg in diese Debatte vermittelten die ersten Tonbandgeräte, mit denen man beispielsweise Rundfunksendungen aufzeichnen oder Schallplatten kopieren konnte. Später kam als wesentliche Technologie die Xerographie hinzu, die den Photokopierermarkt revolutionierte.

Vor der Ausdehnung des Internet in den späten 1990er Jahren waren die technologischen Möglichkeiten von Privatpersonen, eigene Reproduktionen urheberrechtlich geschützter Werke zu erstellen, in der Praxis aber immer noch stark begrenzt. Denn Tonbandspulen oder -Cassetten sind, wenn in Massen gekauft, teuer und sperrig, und auch das Kopieren von Büchern in Copyshops ist nicht nur im Ergebnis oft so teuer wie der Erwerb eines Buchexemplares im Handel, sondern kostet auch noch Zeit und Mühe und befriedigt im Ergebnis weniger als ein professionell hergestelltes Verlagsexemplar.

Vor der Zeit des Internet fand man daher eine einfache pragmatische Lösung für das Problem: Über Schrankenbestimmungen im Urheberrechtsgesetz wurden diese Arten der Privatkopie legalisiert und im Gegenzug eine Geräteabgabe erhoben, die über Verwertungsgesellschaften an die Rechteinhaber auszuschütten ist.

Mittlerweile wird aber deutlich, dass die technologische Revolution durch das Internet und durch die weite Verbreitung leistungsfähiger Universalrechner die faktischen Handlungsfreiräume beim Umgang mit digitalen Gütern auch von Privatpersonen dermaßen erweitert haben, dass über manche zivilrechtliche Bestimmungen im Wirtschaftsrecht neu nachgedacht werden sollte.

Proponenten einer “Kulturflatrate” wollen wenigstens eine Reihe urheberrechtlicher Tatbestände im Bereich des Filesharing durch eine Schrankenbestimmung aus der Welt schaffen und dafür eine beispielsweise an einen DSL-Vertrag gekoppelte Abgabe erheben. Es ist aber zweifelhaft, ob das im 20. Jahrhundert erfolgreiche Modell der Gegenfinanzierung von Schranken des Urheberrechtes über Abgaben an Verwertungsgesellschaften bei einem Transfervolumen, wie es bei einer derartigen umfassenden Kulturflatrate entstehen müßte, praktisch funktionieren kann. Es besteht hier die Gefahr, dass sich neue Verwertungsgesellschaften herausbilden, die zu bürokratischen Monstern mutieren und hinter deren Kulissen sich verschiedene widerstreitende Interessensgruppen sich Diadochenkämpfe über die Verteilung der Einnahmen liefern.

Aber zurück zur Frage der Abmahnungen.

Abmahnungen können dann zur Plage werden, wenn durch die geltende Rechtsordnung eine Unzahl von juristischen “Fußangeln” ausgelegt werden, deren Vermeidung für die adressierten Rechtssubjekte eine Überforderung darstellt. Das inzwischen epidemische Abmahnen von Privatpersonen und Kleinunternehmern – hauptsächlich im Umfeld der “digitalen Revolution” – ist jedenfalls ein Aufweis für ein allmähliches tektonisches Auseinanderdriften von gesetzlicher Fiktion einerseits und Lebenswirklichkeit andererseits. Über kurz oder lang wird hier ein Druck entstehen, die Rechtslage der Lebenswirklichkeit anzupassen. Wie so etwas aussehen könnte, ist derzeit noch nicht einmal in Umrissen erkennbar.

Der Gesetzgeber hat auch damit begonnen, darüber nachzudenken, die Kostenerstattung bei Abmahnungen zumindest in Massenverfahren zu deckeln – inwieweit sich entsprechende, bereits erfolgte Änderungen im Urheberrecht auf die Praxis auswirken werden, bleibt aber noch abzuwarten.

Auch plädiere ich dafür, dass Kritiker des Abmahnwesens stärker berücksichtigen, dass Anwälte in aller Regel auch bei Abmahnungen nur ihre Mandanten vertreten – abgesehen von wenigen Sonderfällen, in denen Anwälte im eigenen Namen handeln. Und wenn im Einzelfall der Gegenstand des Abmahnschreibens fragwürdig erscheint, so ist es in erster Linie der Mandant des Anwaltes, der die Grundentscheidung zu vertreten hat, bestimme Rechtsansprüche zu behaupten und durchzusetzen. Der Anwalt ist als Organ der Rechtspflege nur unterstüzend tätig. Oder will etwa jemand fordern, Anwälte sollten eigenständig entscheiden, welche zivilrechtlichen an sich gültigen Ansprüche als “unmoralisch und/oder unethisch” durch die Anwaltschaft abzulehnen seien?

Nachzutragen bleibt noch, dass die vorstehenden Ausführungen sich nur auf solche Sachverhalte beziehen, bei denen die Abmahnung tatsächlich als Instrument ausschließlich zur außergerichtlichen Streitbeilegung zum Einsatz kommt. Leider ist es auch denkbar, auf dem deutschen Abmahnrecht kreative “Geschäftsmodelle” aufzubauen, bei denen die Konstruktion von Abmahnfällen vorrangig mit Gewinnerzielungsabsichten aus dem Abmahnvorgang selbst verknüpft wird – wenn etwa höhere Anwaltskosten vom Abgemahnten eingetrieben werden, als sie tatsächlich angefallen sind. Auch werden Zweifel geäußert, dass die von digitalen Detekteien ermittelten technischen Sachverhalte zu Urheberrechtsverstößen durch Filesharing von hinreichender Zuverlässigkeit sind. Diese Probleme können die Akzeptanz des Instrumentes der Abmahnung in der Öffentlichkeit stark beschädigen. Bei einer sachgerechten Zurechnung haben diese Aspekte der derzeitigen Abmahnpraxis weniger mit grundlegenden Mängeln der der Abmahnung zu Grunde liegenden Idee einer Streitbeilegung als vielmehr mit anhaltendem rechtspolitischem Streit und Unsicherheit über den Umgang mit Gewerblichen Schutzrechten einschließlich dem Urheberrecht im Zeitalter des Internet zu tun.

(Disclaimer: Der Verfasser bearbeitet als Patentanwalt keine Mandate in a) Wettbewerbssachen oder b) Urheberrechtssachen, die keinen Bezug zu Computersoftware haben.)

 
Über den Autor

Axel H. Horns

Patentanwalt, European Patent & Trade Mark Attorney

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