Durch so genannte “Einwendungen Dritter” (Art. 115 EPÜ) kann die Öffentlichkeit nach der Veröffentlichung einer europäischen Patentanmeldung gegenüber der zuständigen Abteilung oder Kammer “Einwendungen gegen die Patentierbarkeit der Erfindung” erheben, z.B. in Form von relevantem Stand der Technik, Hinweisen auf mangelnde Technizität oder dergleichen. Neben Einwendungen hinsichtlich der materiellrechtlichen Erfordernisse der Artikel 52 - 57 EPÜ sind von der Formulierung des Art. 115 EPÜ aber ausdrücklich auch Stellungnahmen zu weiteren wichtigen Erteilungsvoraussetzungen umfasst, wie z.B. den Ausführbarkeits- und Klarheitsbestimmungen der Art. 83 und 84 EPÜ.

Dies gilt prinzipiell für alle Verfahren von dem EPA, also auch für das Einspruchs- und die Beschwerdeverfahren. Auf diese Weise können interessierte oder von einer etwaigen Patenterteilung betroffene Dritte, die in der Regel Fachleute auf dem betreffenden Gebiet sind, völlig kostenfrei Einfluss auf das Erteilungsverfahren nehmen.

Wie effektiv das sein kann, wenn man es richtig macht, zeigt sich anhand des Prüfungsverfahrens von Amazons “1-Klick”-Stammanmeldung EP 0 909 381 A2, in dessen Rahmen der konkurrierende niederländische Online-Buchhändler BOL.COM nicht weniger als vier Einwendungen gemäß Art. 115 EPÜ einreichte (vgl. z.B. hier oder hier), mit denen dem Prüfer die Relevanz der Entgegenhaltung D3 nahegebracht wurde. Die Anmeldung wurde schließlich zurückgenommen, nachdem die Prüfungsabteilung in einer Ladung zur mündlichen Verhandlung die Auffassung vertrat, dass die Erfindung gegenüber der D3 nicht erteilbar sei. Hierbei bediente sich BOL.COM richtigerweise professioneller Unterstützung, um die Einwendungen in formal korrekter und überzeugeder Weise vorzubringen.

Der Einfluss durch Einwendungen Dritter beschränkt sich jedoch nur auf das Einreichen von Tatsachen sowie rechtliche und technische Ausführungen, eine eingeständige Verfahrensbeteiligung mit Antragsrecht ergibt sich daraus nicht. Aus diesem Grund bietet die Einlegung eines Einspruchs (Art. 99 EPÜ) nach Patenterteilung aufgrund der Verfahrensbeteiligung die größeren Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten.

Aus Kosten- und Praktikabilitätsgründen kann die “Einwendung Dritter” dennoch das bevorzugte Instrument sein, insbesondere wenn der jeweilige “Dritte” lediglich ein wissenschaftlich-technisches und weniger ein wirtschaftliches Interesse an der betreffenden Anmeldung hat. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen auch die diversen “peer-to-patent” Programme, die bezwecken, die technische Kompetenz der Öffentlichkeit und den relevanten Stand der Technik außerhalb der Patentliteratur vollständiger und zielgerichteter nutzen zu können, z.B. in Form von wissenschaftlicher und technischer Literatur.

Dieses Instrument will das Europäische Patentamt nun  in einem Pilotprojekt stärken, indem über ein seit dem 1. August 2011 zugängliches Online-Formular die Einreichung von gut strukturierten und knapp gefassten Einwendungen Dritter erleichtert und gefördert wird (vgl. Merkblatt). Dazu hat das EPA seine Praxis dahingehend geändert, dass die Prüfungs- und Einspruchsabteilungen nun ausdrücklich zur Relevanz von Einwendungen Dritter Stellung nehmen müssen.

Weitere Hinweise, z.B. zu dem Formerfordernissen und der Behandlung der Einwendungen geben der Beschluss vom 10. Mai 2011 (ABl. EPA 2011, 48) und die Mitteilung von 15. Mai 2011:

Einwendungen können anonym eingereicht werden. [...]

Einwendungen dürfen nur Bezug auf die materiellrechtlichen Erfordernisse des EPÜ nehmen, z. B. die Artikel 52 - 57 EPÜ, nicht auf formale Aspekte.

[...] Einwendungen Dritter [werden] vorbehaltlich der vorstehend genannten Formerfordernisse in den öffentlichen Teil der Akte der Patentanmeldung oder des Patents aufgenommen [...]. Das bedeutet, dass sie für die Öffentlichkeit einsehbar sind.

Die Prüfungs- oder Einspruchsabteilung prüft alle Einwendungen, die die vorstehend genannten Formerfordernisse erfüllen, und nimmt im nächsten substanziellen Bescheid an die Verfahrensbeteiligten zur Relevanz der Einwendungen Stellung.

Der Dritte ist am Verfahren vor dem EPA nicht beteiligt und wird deshalb nicht direkt informiert oder weiter in das Verfahren einbezogen. [...]

Über den Autor

Volker Metzler

Patentanwalt, European Patent Attorney, European Trademark and Design Attorney, Informatiker, Blogger, Partner von k/s/n/h

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