EPA-Präsident Battistelli und Bundesjustizministerin Leutheusse-Schnarrenberger, (C) EPO 2013

Nach mehreren vergeblichen Anläufen zur Schaffung eines EU-weiten Patentsystems wurde 1973 als Kompromiss das Europäische Patentübereinkommen unterzeichnet, welches unabhängig von der seinerzeit noch EWG genannten Europäischen Union System zur zentralisierten Patenterteilung mit nachgeordnetem Einspruchsverfahren durch das Europäische Patentamt schuf. Wie wir alle wissen, zerfällt ein gemäß dem EPÜ erteiltes Patent dann aber in ein Bündel von nationalen Patenten, die gemäß den Vorgaben der verschiedenen nationalen Jurisdiktionen aufrechterhalten, durchgesetzt und vernichtet werden können. In Deutschland zum Beispiel sind für die Durchsetzung die Patentstreitkammern der Zivilgerichte zuständig und für die Vernichtung das Bundespatentgericht in München.

Das am 19. Februar 2013 von 25 EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnete und ebenfalls von der EU  unabhängige Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (EPGÜ) soll nun auch die Nacherteilungsphase zentralisieren, indem die nationalen Jurisdiktionen durch eine einheitliche europäische Patentgerichtsbarkeit ersetzt werden. Das neue Einheitliche Patentgericht ist hierbei sowohl zuständig für das gemäß den EU-Verordnungen 1257/2012 und 1260/2012 gleichzeitig zu schaffende Einheitspatent als auch, jedenfalls langfristig, für die bisherigen Bündelpatente.

Die Presseorgane der Europäischen Union und des Europäischen Patentamts werden nicht müde, die Vorteile des neuen Systems zu verdeutlichen, insbesondere dessen angeblichen geringeren Kosten gegenüber dem jetzigen Bündelpatent. Teilweise war von absurden 70% Kostenreduktion für Patentinhaber die Rede, die nur durch Vergleich mit Extremszenarien und den unbedingten Willen zu erklären sind, die EU in Krisenzeiten als politikfähig erscheinen zu lassen.

Anlässlich einer Feier zum 40-jähigen Jubiläum der Unterzeichnung der Europäischen Patentübereinkommens am 18. Juni 2013 in München artikulierten der Präsident des EPA, Benoît Battistelli, und die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erneut Ihre – bekannten – Erwartungen an das Einheitspatent. Der  Pressemitteilung des EPA (englische Fassung hier) sind insbesondere die folgenden Aussagen zu entnehmen:

  1. Das einheitliche Patent und Patentgericht wird den Zugang zum Patentschutz für Unternehmen, insbesondere für SMEs und Forschungseinrichtungen, erschwinglicher und attraktiver machen.
  2. Künftig wird man Patentschutz einheitlich für fast den gesamten EU-Raum erhalten und gerichtlich durchsetzen können. Wir werden die beschlossenen Reformen jetzt zügig umsetzen, damit das neue System 2015 starten kann.
  3. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der globalen Wettbewerbsfähigkeit Europas.

ad 1. Kostenreduktion. Die angesprochenen Kosten lassen sich in vier Kategorien einteilen, nämlich Erteilungskosten, Übersetzungskosten, Aufrechterhaltungskosten und die Nacherteilungskosten für etwaige Klageverfahren zur Duchsetzung und Vernichtung von Patenten.

Dass sich hier insgesamt geringere Kosten ergeben als beim jetzigen System ist mitnichten ein Faktum, sondern bestenfalls fragwürdig.

Die Erteilungskosten für ein Einheitspatent werden sich gegenüber den derzeitigen Bündelpatent nicht ändern, denn ein Einheitspatent entsteht erst nach der Erteilung durch Erklärung des Inhabers. Das Erteilungsverfahren für Bündel- und Einheitspatente wird identisch sein, unabhängig davon, ob der Inhaber später eine nationalen oder einheitlichen Schutz wünscht. Zudem hat EPA-Präsident Battistelli bereits mehrfach angekündigt, dass die derzeitigen Eirteilungsgebühren nicht gesenkt werden.

Übersetzungskosten fallen für ein Bündelpatent nach Inkrafttreten des Londoner Übereinkommens nur noch in wenigen Mitgliedsstaaten an. Insbesondere in den wichtigen Patentstaaten Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Holland und den Staaten Skandinaviens sind, bis auf die obligatorischen Anspruchsübersetzungen in zwei weitere EPÜ-Amtssprachen keine Übersetzungen mehr erforderlich. Von den wichtigen europäischen Märkten fordern nur Spanien und Italien Übersetzungen, also ausgerechnet die beiden Staaten, die ohnehin nicht am Einheitspatent teilnehmen.

Demgegenüber erfordert Artikel 12 der Übersetzungs-VO 1260/2012 jedoch eine obligatorische Übersetzung in eine weitere Amtssprache für alle erteilten Einheitspatente solange, bis die maschinelle Übersetzung von Patenten in alle Amtsprachen, die zusammen mit Google entwickelt wird, gewährleistet ist. Für die meisten Pateninhaber werden die Übersetzungskosten also bis auf weiteres eher steigen als fallen.

Aber auch die EU Kommission tut sich mit völlig unrealistischen Kostenschätzungen hervor, denn sie vermittelt den Eindruck, dass im gegenwärtigen System Übersetzungskosten von mehr als 32.000 EUR anfallen. Das ist in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fällen schlicht falsch, denn die allermeisten Bündelpatente werden lediglich in Großbritannien, Frankreich und Deutschland validiert, möglicherweisen nocht in Holland, und dort fallen, wie gesagt, schon seit Jahren keinerlei Übersetungskosten mehr an.

Aber auch in Großbritannien wird mit “politischen” Zahlen operiert. So rechnet etwa das UKPTO im Zusammenhang mit der IP Bill zur Implementierung des Einheitspatents in Großbritannien vor, dass Patentinhaber unter dem neuen System 20.000 GBP pro Patent gegenüber dem jetzigen Bündelpatent sparen könnten. Diese Desinformation wird auf dem IPcopy Blog nicht ganz unzutreffend als “Propaganda” bezeichnet.

Man fragt sich langsam, welchen Sinn es hat, das gegenwärtige System derart bei seinen potentiellen Nutzern zu diskreditieren – und das auch noch ausgerechnet anlässlich eines EPÜ-Jubiläums. Aber auch das neue einheitliche System wird diskreditiert, denn irgendwann werden die Nutzer merken, dass derartige Zahlentricksereien lediglich der politischen Durchsetzung des einheitlichen Patentsystems dienen. Die allermeisten Nutzer und Beobachter haben  ohnehin schon gemerkt, dass die Vorteile des neuen Systems durch die politisch Verantwortlichen noch immer auf PR-Niveau verharrt.

Die Aufrechterhaltungskosten für ein Einheitspatent, also die von den Patentinhabern zu zahlenden Jahresgebühren, werden aller Voraussicht nach mindestens so hoch sein, wie die derzeit für ein Bündelpatent anfallenden Jahresgebühren, das in der durchschnittlichen Anzahl von sechs Mitgliedsstaaten nationalisiert wurde. Artikel 12 (3) der Einheitspatent-VO 1257/2012 nennt weitere Kriterien:

Zur Erreichung der in diesem Kapitel festgelegten Ziele wird die Höhe der Jahresgebühren so festgesetzt, dass:

  1. sie der Höhe der Jahresgebühren entspricht, die für die durchschnittliche geographische Abdeckung der üblichen Eu­ropäischen Patente zu entrichten sind,
  2. sie die Verlängerungsrate gegenwärtiger Europäischer Patente widerspiegelt und
  3. die Zahl der Anträge auf einheitliche Wirkung widerspiegelt.

Gegenüber den nur in einigen wenigen Mitgliedsstaaten nationalisierten Bündelpatenten wird das Einheitspatent also sicher teurer werden.

Auch wecken die Aufrechterhaltungsgebühren erhebliche Begehrlichkeiten bei den Mitgliedsstaaten, die mindestens ihre eigenen Verluste aus der Patentreform refinanzieren wollen. In diesem Zusammenhang sein auf eine Mitteilung der Mitgliedsstaaten vom 14.12.2012 verwiesen, in dem diese für den nationalen Verteilungsschlüssel der Aufrechterhaltungsgebühren fordern, dass die  Zuflüsse aus Aufrechterhaltungsgebühren im jetzigen System aufrechtwerhalten werden müssen bzw. sich für einige maßgeblich erhöhen sollen.

Diese Mitteilung wirft jedenfalls ein grelles Schlaglicht auf den hinter den Kulissen bereits entbrannten Verteilungskampf. es wäre weltfremd anzunehmen, dass die EU-Mitgliedsstaaten ausgerechnet in dieser Frage ihre nationale Interessen hinter das Gemeinwohl zurückstellen würden.

Über die Höhe der Nacherteilungskosten, also von Gerichtsgebühren bei der Durchsetzung, Verteidigung und Vernichtung von Patenten ist noch gar nichts bekannt. Maßgabe für die Festsetzung der Gerichtsgebühen wird hierbei sein, dass einerseits der Zugang zum Gerichtssystem nicht durch zu hohe Gebühren faktisch beschränkt wird, andererseits aber das Gericht sich aus den Gebühren selbst finanzieren kann.

Die Komplexität des neuen Gerichtssystems (vgl. hier oder hier) mit erstinstanzlichen Lokal-, Regional- und Zentralkammern, die relativ weitgehende Zuständigkeit der Zentralkammern in Paris, London und München (Reisekosten), die erforderliche Übersetzung von Streitpatenten in die Verfahrenssprache von zuständigen Lokalkammern, die Möglichkeit der Beiziehung technischer Richter, die sicherlich häufig genutzte Möglichkeit der Nichtigkeitswiderklage innerhalb eines Verletzungsverfahrens, die Rolle des EuGH u.v.a.m. lässt es allerdings fast ausgeschlossen erscheinen, dass beide Vorgaben in gleichem Maße erfüllt werden können. Darüber hinaus schlummern in der noch nicht abgeschlossenen Verfahrensordnung noch vielfältige Kostenfallen, wie z.B. die konkrete Ausgestaltung der mündlichen Verhandlung.

Vor diesem Hintergrund muss man kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die im weltweiten Vergleich sehr niedrigen Kosten von Klageverfahren in Deutschland leicht überschritten werden wird.

ad 2. Einheitlicher Patentschutz für fast die gesamte EU ab 2015. Auch diese Aussage hält der Realität nicht stand. Grund hierfür ist die in jedem einzelnen Mitgliedsstaat erforderlichen Ratifikation und die in diesem Zusammenhang zu erwartenden Schwierigkeiten.

Das Einheitspatent und das neue einheitliche Gerichtssystem werden in Kraft treten, sobald das EPGÜ in 13 Unterzeichnerstaaten national ratifiziert ist, darunter zwingend Groߟbritannien, Frankreich und Deutschland. Besonders in Großbritannien ist die Ratifikation in die Wirren der nationalen politischen Diskussion geraten, da sie verwoben wird mit den Fragen der EU-Zugehörigkeit des Landes und den Unabhängigkeitsströmungen Schottlands (vgl. hier, hier und besonders hier). Derzeit ist nach realistischen Schätzungen kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Ratifikation in Großbritannien nicht vor 2016 stattfinden wird.

Auch in anderen Ländern gibt es Probleme, so zum Beispiel in Irland und Dänemark, wo aus verfassungsrechtlichen Gründen Volksabstimmungen notwendig sind, die leicht zu nationalen Referenden über die Politik der Europäischen Union werden können. Daneben hat Polen aufgrund innenpolitischer Divergenzen das EPGÜ gar nicht erst unterzeichnet. Diese Beispiele zeigen das zentrale Problem des Ratifikationsprozesses: Diese an sich europäische Frage wird in die Untiefen nationaler Politik gezogen und dort möglicherweise mit sachfremden Machtfrage und nationalen Egoismen belastet. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der EU, dass ein einheitliches Patent  an der Ratifikation scheitern würde.

Daneben ist vor dem EuGH eine sehr ernst zu nehmende Klage Spaniens (Az. C-146/13 und C-147/13) gegen das gesamte neue Patentsystem anhängig, deren Ausgang völlig ungewiss ist. Ebenso muss vor Inkrafttreten noch die Brüssel-I-Verordnung (EC 44/2001) geändert werden, die die gerichtlichen Zuständigkeit und Anerkennung von Zivilurteilen innerhalb der EU regelt, was jedoch ein vergleichsweise kleines Problem sein dürfte (vgl. hier).

Und selbst wenn alles wie gewünscht läuft, würde 2015 ein Einheitspatent in Kraft treten, das lediglich in 13 oder etwas mehr EU-Staaten wirksam ist. Der weitere Ratifikationsprozess bis zum angestrebten Ziel “fast die gesamte EU” wird sich dann noch viele Jahre hinziehen.

ad 3. Europas Wettbewerbsfähigkeit wird gestärkt. Auch das kann als reine Marketingaussage gewertet werden, denn das neues System wird ja nicht nur europäischen Anmeldern zugänglich sein, sondern allen Anmeldern weltweit. Etwaige positive Effekte stünden also ohnehin allen gleichermaßen zur Verfügung, so dass spezifische Vorteile für die europäische innovative Wirtschaft nicht zu erkennen sind.

Möglicherweise resultiert diese Aussage aber auch aus der irrigen Annahme, dass ein kostengünstiges und effizientes Patentsystem mehr Patente hervorbringt und bereits deshalb die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents steigern würde - obwohl ein solch erschreckendes Maß an Naivität eingentlich nicht vorstellbar ist.

Die Steigerung der Patentzahlen in einem Territorium steigert sicher nicht automatisch dessen Wettbewerbsfähigkeit – vielleicht sogar eher im Gegenteil, denn eine Zunahme von Patenten in bestimmten Technikbereichen kann eine nationale Wirtschaft auch behindern, wenn diese nämlich das technisch-innovative Niveau dieser Patente noch nicht erreicht hat. Die letztere Sichtweise ist  übrigens genau der Grund, warum sich Polen einstweilen dem Beitritt zum neuen System verweigert.

 

Um es abschließend nochmal zu wiederholen, die Diskreditierung des jetzigen Systems durch Inaussichtstellen von wunderbaren aber faktisch kaum erreichbaren Vorteilen des neuen Systems nützt weder der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, noch den IP-Standort Europa und schon gar nicht der politischen Klasse Europas!

Und im größeren Kontext der EURO Krise, die ja auch als Krise der Europäischen Union und ihrer Institutuionen verstanden werden kann, stellt sich jedenfalls mir die bange Frage, ob dort mit dem gleichen Maß an politisch motivierter Desinformation operiert wird.

Über den Autor

Volker Metzler

Patentanwalt, European Patent Attorney, European Trademark and Design Attorney, Informatiker, Blogger, Partner von k/s/n/h

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