EU Kommissar Almunia zu Standard-essentiellen Patenten und FRAND
Am 10 Februar 2012 hielt EU Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia unter dem Titel “Quo vadis Europa? New Frontiers of Antitrust 2012” in Paris eine Rede, in der er seine wettbewerbs- und kartellpolitische Agenda skizzierte und die insbesondere auch aus patentpolitischer Sicht beachtenswert ist. In der deutschen Übersetzung lauten die interessanten Passagen wie folgt (Hervorhebungen hinzugefügt):
Offene Märkte für neue Marktteilnehmer sind ein Schlüsselfaktor der Innovationsförderung. Wenn es Monopolen und engen Oligopolen erlaubt wird, Märkte zu besetzen, tendieren diese dazu, Veränderungen zu verhindern, und werden sich am Ende oft nur um die Bewahrung ihrer eigenen Geschäftsmodelle kümmern.
Demgegenüber erlauben Märkte mit freiem Zutritt neuen Markteilnehmern ihre Produkte auszuprobieren und mit neuen Ideen erfolgreich zu sein. Es ist eine wesentliche Aufgabe der Wettbewerbskontrolle zu gewährleisten, dass neue Generationen von Unternehmen eine faire Chance erhalten.
Ich denke dabei vor allem an die zunehmende strategische Nutzung von solchen Patenten, die ihren Inhabern Marktmacht verleihen. Der mögliche Missbrauch von Standard-essenziellen Patenten ist eine besondere Ausprägung dieser Sorge.
Standards sind das beste Werkzeug zur Förderung der Interoperabilität von Geräten und zur Definition von Sicherheits- oder Qualitätsmaßstäben. In der Kommunikationstechnologie sind Normen ein wesentlicher Faktor für eine universelle Vernetzung und nahtlose Kommunikation.
Sobald ein Standard verabschiedet wird, ist er die Norm und die zugrunde liegenden Patente werden unumgänglich. Die Inhaberschaft solcher Standard-essentiellen Patente verleiht eine derartige Marktmacht, dass ihr Missbrauch nicht hingenommen werden kann.
Standardisierungsprozesse müssen fair und transparent sein, so dass sie nicht in die Händen von etablierten Unternehmen gelangen, die lediglich ihre eigenen Technologien durchsetzen wollen. Aber dies ist nicht genug. Wir müssen auch sicherstellen, dass Unternehmen, die Standard-essentielle Patente halten, zu diesen Patenten einen effektiven Zugang zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen gewähren.
Dies ist entscheidend, wenn wir wollen, dass sich Branchen und Unternehmen basierend auf solchen Patenten frei entwickeln und ihr Potential entfalten können.
Ich bin entschlossen, das Kartellrecht durchzusetzen, um Missbrauch von Patentrechten zum Nachteil eines gesunden und frei zugänglichen Marktes zu verhindern. Ich habe in mehreren Bereichen Untersuchungen zu diesem Thema eingeleitet und wir werden die Ergebnisse zu gegebener Zeit sehen.
Der EU Wettbewerbskommissar macht hier deutlich, dass er das sogenannte FRAND-Prinzip (“fair, reasonable, and non-discriminating license”) mit den exekutiven Mitteln des EU Kartellrechts durchsetzen will, um Inhaber von Standard-essentiellen Patente zu verpflichten, diese zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Lizenzbedingungen auslizensieren, damit auch andere Marktteilnehmer Standard-konforme Produkte anbieten können. So sollen die betreffenden Standard allen Wettbewerbern zugänglich bleiben nicht zu patentgestützten Kartellen degenerieren.
Dies ist allerdings keine neue Entwicklung, sondern folgt den Leitlinien der EU Richtlinien zu horizontalen Vereinbarungen aus dem Jahre 2010 (vgl. IP/10/1702undMEMO/10/676), die schon vorher die Haltung der EU Kommission unterstrichen, dass Lizenzen zu FRAND-Bedingungen als wesentliche Voraussetzung für ungehinderten Zugang zu standardisierter Technologie betrachtet werden.
‘Smartphone War’: Angeregt, solche Bemühungen gerade jetzt zu verkünden, wurde Almunia sicher auch durch den seit Monaten tobenden Smartphone-Krieg, der im Konflikt zwischen Apple und Samsung seinen Anfang nahm und dem sich inzwischen nahezu alle Schwergewichte der Internet- und Mobilfunk-Brache angeschlossen haben, wie zum Beispiel Google, Motorola, Microsoft, Nokia und HTC. An anderer Stelle wurde der Smartphone-Krieg sogar schon mal als Stresstest für das Patentsystem bezeichnet.
Zum Beispiel hat Apple in einem Schreiben an die Europäischen Instituts für Telekommunikationsstandards (ETSI) Leitlinien für eine FRAND-Lizensierung im Mobilfunk-Bereich gefordert. Diesen Forderungen habe sich inzwischen auch Microsoft, vgl. [1, 2], und Cisco anschlossen (vgl. Brief and ETSI). Gegen Samsung wurde hingegen von der EU Kommission inzwischen eine formelle Untersuchung eingeleitet, da die Koreaner mit ihren 3G-Patenten angeblich den Wettbewerb in Binnenmarkt eingeschränkt hätten, da Samsung Wettbewerbern keine FRAND-Lizenzen angeboten habe, obwohl es sich gegenüber ETSI dazu verpflichtet hatte. Google wiederum hat gegenüber Standardisierungsorganisationen versichert (vgl. Schreiben an IEEE), dass die durch den Kauf von Motorola erworbenen Mobilfunk-essentiellen Patente weiterhin zu FRAND-Bedingungen lizensiert werden können, woraufhin die EU Kartellbehörde die Übernahme von Motorola genehmigte.
Grundprinzip von FRAND: Aber zurück zum Begriff “FRAND”, dessen sehr einfaches Grundprinzip bereits oben kurz genannt wurde. Es geht darum, Standards für alle Marktteilnehmer zugänglich zu halten, indem sichergestellt wird, dass Lizenzen an Standard-relevanten Patenten, die bei der Entwicklung von Standard-gemäßen Produkten unweigerlich verletzt würden, zu vernünftigen, eben FRAND-Bedingungen erworben werden können. Wettbewerbsbeschränkungen, die aus der von Standard-essentiellen Patenten verliehenen Marktmacht resultieren können, können so vermieden werden.
Von hier aus ist es nur noch ein kurzer Weg zu zentralen kartellrechtlichen Begriffen, wie “Zwangslizenz” (vgl. § 24 PatG) und “Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung” (vgl. § 19 (1) GWB). Danach kann ein Patentbeklagter im Verletzungsprozess einwenden, dass der Kläger eine marktbeherrschende Stellung missbrauche, wenn oder indem er sich weigere, dem Beklagten eine FRAND-Lizenz anzubieten (Leitsatz BGH KZR 39/06, “Orange-Book-Standard”, 6. Mai 2009).
FRAND-Bedingungen: Leider sind die genauen Bedingungen, unter denen ein Lizenzvertrag als “FRAND-konform” bezeichnet werden kann, nicht genau definiert, selbst nicht in der IPR Policy des Europäischen Instituts für Telekommunikationsstandards (ETSI). Es verbleibt also im Ermessen des jeweils angerufenen Gerichts die FRAND-Eignung eines (Kreuz-)Lizenzvertrags basierend auf nationalen Lizenz- und Wettbewerbsregeln zu prüfen. Der kleinste gemeinsame Nenner einer FRAND-Definition könnte etwa wie folgt aussehen.
- Fair: Sind die Lizenzbedingungen abgestimmt auf die geltenden Wettbewerbs- und Kartellregeln, die einen unverfälschten Wettbewerb und freien Markt sicherstellen sollen? In diesem Sinne wäre es sicher unfair, einen Lizenznehmer zu mehr zu verpflichten, als es zur Gewährung des Zugangs zu einer patentgeschützten Lehre unbedingt notwendig ist, zum Beispiel zu wettbewerblichen Zugeständnissen und Wohlverhalten, Abnahmevereinbarungen oder dergleichen.
- Angemessen (reasonable): Sind die Lizenzgebühren im Einklang mit der betreffenden Branche und führen sie zu marktüblichen und vernünftigen Produktpreisen für den Endverbraucher?
- Nicht-diskriminierend: Werden alle Lizenznehmer gleich behandelt? Zum Beispiel wäre es diskriminierend, bei der Höhe von Lizenzgebühren zwischen direkten Konkurrenten und entfernten Wettbewerbern zu unterscheiden, während alle weiteren Regelungen in den Lizenzverträgen gleich sind.
Patent-Pools: Nicht zu übersehen ist auch der Zusammenhang mit ‘Patent Pools’, die das Problem beseitigen sollen, dass in vielen Hitech-Branchen heutzutage kein Unternehmen mehr alleine etwas bewegen kann, da auch Wettbewerber über einschlägigen Patente verfügen, die bei eigenen Entwicklungen berücksichtigt werden müssen. Die Lösung sind groß angelegte Kreuz-Lizensierungsprogramme – eben Patentpools -, um die wesentlichen Patente verschiedener Marktteilnehmer an der gleichen Technologie im Paket lizensieren zu können. Aufgrund der offensichtlichen Marktmacht können die Mitglieder eines Patentpools – die ja faktisch einen patentgestützten, marktbeherrschenden Zusammenschluss bilden – Außenstehenden wesentlich ungünstigere Lizenzbedingungen diktieren, als sie für die Poolmitglieder gelten. Man spricht dann von horizontalen Wettbewerbsbeschränkungenim Sinne des Art. 101 (1) AEUV (ex Art. 81 (1) EGV) und des § 1 GWB. Gelegentlich entwickelt sich ein Patentpool aber auch von einem De-Facto-Standard (Industriestandard) weiter zu einem De-Jure-Standard, wie es z.B. bei dem MPEG-2 Pool (800 Patente, 57 Länder, 25 Lizenzgeber) der Fall war, der inzwischen zum ISO/IEC 13818Standard wurde. Dagegen steht das Argument, dass Patentpools in der Praxis zumeist wettbewerbsfördernd sind, da sie Markteintrittsschwellen für neuer Wettbewerber absenken. Es ist klar, dass Ersteres verhindert und Letzteres erreicht werden kann, wenn den Außenstehenden Lizenzbedingungen nach FRAND-Kriterien angeboten werden.
EU Normungsverordnung: Vor diesen Hintergrund strebt die EU Kommission nun eine EU-Verordnung zur Europäischen Normung an (2011/0150(COD), vgl. Kommissionsvorschlag sowie Entwurf (PE478.420) der Berichterstattering Lara Comi (IT, EPP) im Binnenmarktausschusses), die dieses Dickicht im Sinne der Interoperabilität und des freien Zugangs zu Standards und Normen lichten soll. Über den Entwurf wird der Ausschuss am 22. März 2012 abstimmen und die erste Sitzung im Plenum ist für den 22. Mai 2012 geplant.
In der Begründung der Verordnung wird im Anhang II für die Anerkennung nicht normierter technischer Spezifikationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie als IKT-Normen unter anderem gefordert (vgl. Erklärung des DIN):
Lizenzen für jene Rechte des geistigen Eigentums , die für die Verwendung von Spezifikationen von wesentlicher Bedeutung sind, werden an Interessenten nach dem FRAND-Grundsatz [...] vergeben; im Ermessen des Rechteinhabers schließt dies eine Lizenzvergabe ohne Gegenleistung für wesentliche Rechte des geistigen Eigentums ein.
ETSI-IPR-Policy: Diese Regelung betrifft jedoch nur Industrie- oder Defacto-Standards im ITK-Bereich, die nachträglich in den Rang einer Europäischen Norm erhoben werden sollen, nicht jedoch den etablierten Normungsprozess des in Europa für ITK-Normen zuständigen ETSI und dessen ETSI IPR Policy. Der “ETSI Guide on Intellectual Property Rights (IPRs)” vom 20 November 2011 kennt keine Vorbehalte gegen die Einbeziehung technischer Schutzrechte in einen Standard, verlangt aber
- Frühzeitige Identifizierung und Offenlegung von wesentlichen oder potentiell wesentlichen Patenten;
- Ungehinderten Zugang zum Standard durch FRAND-Lizenzierungserklärung, wobei sich ETSI an den Lizenzverhandlungen zwischen den Inhabern essentieller Patente und den potentiellen Anwendern des Standards nicht beteiligt.
Allerdings gibt es für Inhaber Standard-essentieller Patente keine Verpflichtung zur Abgabe einer Lizenzbereitschaftserklärung gegenüber ETSI oder potentiellen Anwendern des zukünftigen Standards. Vielmehr kann ein Patent nur mit expliziter Zustimmung des Inhabers in einen Standard einbezogen werden. Für den Fall, dass ein Patentinhaber seine Lizenzbereitschaft nach Veröffentlichung des Standards verweigert und keine technische Umgehungslösung verfügbar ist, bietet Art. 8 der ETSI IPR Policy ein detailliertes Verfahren zur Bereinigung der Situation an (vgl. auch FAQ).
Volker Metzler
Patentanwalt, European Patent Attorney, European Trademark and Design Attorney, Informatiker, Blogger, Partner von k/s/n/h
One Response to EU Kommissar Almunia zu Standard-essentiellen Patenten und FRAND
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